Im sanften Flow durch Gegenwart
Leif Randt erzählt in "Let´s talk about feelings" auf coole und dennoch zart berührende Weise vom Übergang ins Middle-Age
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| Redaktionschef Boncuk, der Kater, präsentiert das Cover v. L. Randt, Let´s talk about feelings, Kiepenheuer & Witsch |
Ein Name wie ein Label. Wo Leif Randt draufsteht, da ist auch Leif Randt drin. Wie sollte das anders sein, in diesem seinem fünften Roman. Let´s talk about feelings als Titel weist bereits auf das hin, wofür Leif Randt verehrt oder ganz selten auch einmal abgelehnt wird: das Gegenwärtige, das Reflektive, das Hippe. Ein Schreiben über das Fließende von Gefühlen ist zu erwarten, doch sicher gebrochen durch die Reibung an der exakten Beobachtung des Zeitgeists, der vorherrschenden Moden. So verwundert auch nicht, dass der Protagonist in Randts neuem Buch ein Boutiquebesitzer ist, der, das sei bereits verraten, durchaus Ähnlichkeiten mit seinem Autor besitzt:
“Marian war gut in seinem Beruf. Er sorgte dafür, dass Menschen ihren Blick fürs Detail schärften, dass sie nach einigen Käufen bei Kenting Beach zeitgemäß aussahen, aber keinesfalls so, als passten sie sich lediglich Trends an, sondern so, als würden sie freudvoll-individuelle Antworten auf diverse Trends formulieren. Die Kleidung, die Marian verkaufte, würde über mehrere Saisons hinweg positiv auffallen, und sie würde Menschen, die diese Kleidung an anderen sahen, dazu anstiften, sich auch selbst wieder mehr Gedanken über ihre Garderobe zu machen.”
Was Marian hier als Ethos seines Berufs formuliert, lässt sich sehr passend auf Leif Randts Arbeit als Schriftsteller übertragen, der über Dinge nachdenkt, sie betrachtet und spiegelt.
Respektvoll, doch ohne zu ernst zu werden, zu schwer, zu eindeutig. Eine wunderbare Vorbereitung auf Let´s talk about feelings als 300 Seiten starke Lektüre bietet sich in der Dankesrede an, die der Autor im Jahr 2023 auf die Verleihung des Hölderlin-Preises für sein bisheriges Schaffen hielt. In dieser berichtet er, wie er von einem Studenten gefragt worden ist, ob er sich stärker über Gedanken oder über Gefühle definiere. “Ich antworte – ohne lange zu zögern - Gedanken. Später bin ich unsicher, ob meine Antwort ganz ehrlich gewesen ist.”
Es scheint fast, als habe Leif Randt mit seinem neuen Buch eine ausführlichere und ehrlichere Antwort auf die gestellte Frage formulieren wollen, als sei es ihm zumindest wichtig erschienen, dem Irrationalen des Gefühls nachzuspüren und die strenge Logik der Gedankenwelt zu sprengen. Wenn der Name Leif Randt einem Label entspricht, so erinnerte bisher immer das Cover seiner Bücher an ein dazu passendes Logo. Mal zierte ein Sechseck, dann ein Quadrat sowie ein Kreis seine Bücher, artifiziellen und akkuraten Gedankenformen gleichend, wie sie in der Geometrie vorzufinden sind. Mit Let´s talk about feelings verabschiedet sich der Autor von dieser Tradition, pastellfarbene, ineinander zerfließende Orange- und Blau-Töne assoziieren einen himmlischen Sonnenauf- oder –Untergang nebst der silbrigen Schwinge eines Flugzeugs.
Wer kennt sie nicht, die schwebenden Gefühle, die auf Reisen entstehen, enthoben der festen Routinen, das eigene Leben seltsam entrückt und doch geschärft an sich vorbeiziehen sehend. Marian Flanders befindet sich auf der Reise ins eigene Middle-Age. Gerade ist er 41 Jahre alt geworden, da stirbt nach langer, schmerzhafter Erkrankung seine Mutter Carolina, die in den 80er Jahren ein viel bewundertes Model gewesen ist. Herausgeworfen aus dem Identitätsgefühl, in erster Linie der Sohn seiner Mutter zu sein, die bis zuletzt seinen Kenting Beach Store mit einem monatlichen Scheck co-finanzierte, beobachten die Leser:innen sowie die Protagonist:innen des Buchs die verschiedenen Phasen von Marians Trauer und begleiten ihn ein Stück in einen neuen Lebensabschnitt hinein. Marian fällt es offensichtlich wesentlich leichter über die Wahrnehmung von Mode zu sprechen als über Gefühle:
“Wenn Marian nun gefragt wurde, wie es ihm ging, was in den ersten drei Wochen nach der Seebestattung quasi täglich geschah, bemühte er sich, jedes Mal neu nachzudenken, bevor er antwortete. Zu Piet sagte er nach kurzem Zögern: »Mir geht es normal.« Er wusste, dass diese Antwort besonders merkwürdig wirken mochte, doch Piet gegenüber wollte er sich keinesfalls verstellen. Marian fühlte sich normal, weil die offenkundigsten Trauersymptome bereits abgeklungen waren. Er musste nicht mehr weinen, er war nicht antriebslos, er verlor sich nicht ständig in Erinnerungen.”
Marian ist ein Wohlstands-Kid. Die Mutter ehemals ein ikonisch bewunderter Star, der Vater dereinst Sprecher der Tagesthemen der ARD, mit Villa in Babelsberg, Party-Schiff auf dem Wannsee und Ferienhaus in Teneriffa. Inzwischen erfreut er sich auf TikTok zunehmender Beliebtheit durch seine eigenen Videos. Die Eltern trennten sich früh und der Vater gründete eine neue Familie. Marian Flanders hat also zwei jüngere Halbgeschwister, von denen Halbschwester Teda als EDM-DJane bereits zu internationalem Ruhm gekommen ist. Der Halbbruder ist verheiratet und hat zwei Kinder, in seiner Ehe gibt es jedoch zeitweise Phasen größerer Entfremdung und Experimente im Modell der offen geführten Ehe. Vor diesem doch illuster zu nennenden Background führt Marian als Besitzer seiner nicht wirklich florierenden Boutique in Schöneberg ein eher unauffälliges Leben, in seiner letzten Beziehung zu Franca, einer Ausstellungs-Designerin, verbringt er nach eigener Aussage viel Zeit im “Dämmerzustand”, sein Leben als Geschäftsmann in “Alltagstrance”.
Die Beschäftigung mit körperlicher Schönheit, etwa durch Diäten, Mode oder Schönheits-OP´s sind ihm von Anbeginn durch die Mutter vertraut, später studiert er Kunstgeschichte und Soziologie, um sich danach “wieder zurück in Richtung Kleidung” zu orientieren, “weil ihm die Vermittlung von Mode weit wertvoller erschien als die Vermittlung von Kunst.”
Er ist von großer Freundlichkeit, unaufgeregt, tolerant, kann putzen, kochen und überall mitreden. In Berlin ist er gut vernetzt, Künstler- und Clubszene sind ihm vertraut, er wohnt in Neukölln. Seine Gefühle nimmt er überwiegend über körperliche Auffälligkeiten wahr, die Trauer, weil er weint, Erleichterung oder auch Ängste über ein Ziehen im Bauch, der Rest geschieht über Interpretationen dieser und ähnlicher Phänomene. Ablenkungen sind ihm da vertrauter, Handy, Social Media, Spotify, Designer-Drogen, essen gehen, tanzen gehen, reisen, Kino, Performances und was es alles so gibt neben der Mode, in unserer digitalisierten und großstädtischen Gegenwart.
Leif Randt gilt als der Autor, der die Popliteratur in unser Heute hinein weiterentwickelt hat und genau so liest er sich auch. Man fühlt sich an Kracht erinnert oder denkt vielleicht sogar an Bodo Morshäusers Berliner Simulation, zumal Let´s talk about feelings über weite Strecken (wenn Marian sich nicht gerade in Japan, Neu-Delhi, Wolfsburg oder Teneriffa befindet) ein ungemein wahrhaftiger Berlin-Roman ist. Das heutige Berlin der fließend englisch sprechenden Hipster und weltweit vernetzten Weltbürger:innen, die ihr Geld am liebsten in Immobilien wachsen sehen, ist mit größter Präzision beschrieben. Doch von allen Popliteraten ist Leif Randt nicht nur selbstredend der Gegenwärtigste sondern auch der eindeutig Zufriedenste. Durch Marians Blick, der dann im weiteren Verlauf dieser Entwicklungs-Geschichte doch sehr viel erlebt und intensiver als zuvor in die Beziehung zu anderen Menschen tritt, empfinden die Leser:innen jeden Sonnenaufgang und jede digitale Neuheit als gleichwertig interessant, die Erde, der Globus, auf dem sie leben, reisen, lieben und traurig sind, gleicht ihnen einem großen Abenteuerspielplatz, einer Event-Bude, auf der es allerlei zu entdecken gibt. Ganz nebenbei eben auch diverse “Feelings” wie Traurigkeit, Einsamkeit oder Verliebtheit. Dass sich das bei der Lektüre schlüssig anfühlt, das ist große Kunst. Die Lakonie des Autors führt die Leser:innen sanft und leicht sediert durch unsere Zeit, stellt sich in diesem Buch durchaus den (ehemals “groß” genannten) Fragen des Lebens, begehrt nie auf und löst aufkommende Schwere durch feine Ironie.
Randt ist ein Kind seiner Zeit, ein Beobachter der Lifestyle-Gebote und Angebote, doch er ist bar jeder Ideologie. Zeitlich erstreckt sich die Handlung von Juni 2025 bis Juni 2026. Neben all dem Realen im Roman, findet er kontrafaktisch eine digitalisierungs-freundliche Bundeskanzlerin Brinkmann nebst eines Vizekanzlers Habeck. Randt gendert selbstverständlich und sorgt sich für seinen Protagonisten um faire Produktionsbedingungen für dessen Mode. Die Kriege in Gaza und in der Ukraine finden dagegen keine Erwähnung. Vielleicht, weil es sie in dem Kosmos des Buchs nicht gibt, vielleicht weil Marian sich nicht dafür interessiert. Gefragt, ob er sich wegen des Rechtsrucks Sorgen mache, bejaht er dieses, kommt im Weiteren aber auch zu einer erstaunlich unpopulären Aussage:
“Marian kannte persönlich aber niemanden, der mit ihnen sympathisierte, sondern im Gegenteil vor allem Personen, die sich in einem Alter ü35 plötzlich als vehement links inszenierten, indem sie aktivistische Textbotschaften und Fotos von Demos posteten. (...) Irma gegenüber erzählte er, dass er sich manchmal Sorgen mache, dass es bald zu wenige Menschen geben könnte, die sich noch als apolitisch definieren. Im Apolitischen, fand Marian, lag eine besondere, bindende Kraft, die ein friedfertiges Miteinander überhaupt erst möglich machte. Nur wer in der Lage war, nicht in politischen Kategorien zu denken, konnte sich offen unterhalten und andere wirklich kennenlernen. Auch modisch schienen ihm jene Gesellschaften anregender zu sein, in denen es weniger klar markierte Positionen gab.”
Hölderlins “Das Angenehme dieser Zeit” zitiert Randt in seiner eingangs erwähnten Dankesrede in einer Überschreibung. Hölderlins Verzweiflung wird von Leif Randt durch Dankbarkeit darüber, ein Heutiger zu sein, ersetzt. Es endet mit den Worten: “Ich freue mich auf das Middle Age. Man hat leicht reden.”
Ein “melancholischer Hedonismus” liegt in Let´s talk about feelings, der ansteckend ist und ein wenig high macht beim Lesen. Die Rezensentin (durch eine ganz andere Generation geprägt) fühlte sich nach der Lektüre leicht, getröstet und mit dem Zeitgeist ein wenig versöhnt. Leif Randt sei gedankt!
(Der Text findet sich (minimal verändert) auch auf: literaturkritik.de, da er für diese wundervolle Sammlung an Literaturkritiken geschrieben wurde.)
Leif Randt: Let´s talk about feelings
Kiepenheuer & Witsch, 2025
ISBN-13 : 978-3462007961
320 Seiten, 24,- Euro
Kenting Beach Store.
(Viel Ehre wie im Feuilleton gibt es selten, dafür kaum Geld überall. So what?)





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